10. August 2000

 
"Man muss ständig schauen, wo der Feind ist"

Frankfurt/Oder (NRZ). Marysia R. und Stanislaw T. studieren an der Europa-Universität "Viadrina" in
Frankfurt an der Oder. Die Bedingungen, unter denen sie hier in der Grenzstadt lernen, loben sie als "hervorragend" und "beispielhaft". Auf dem Campus fühlen sie sich wohl, mit den Kommilitonen aus 37 weiteren Ländern haben die beiden polnischen Studenten "keine Schwierigkeiten".

Die Probleme in der ostbrandenburgischen Stadt beginnen erst, wenn sie das Universitätsgelände verlassen: "Am Abend ist es ein wenig so, wie man sich ein Bürgerkriegsgebiet vorstellt", erzählt der junge Mann, "man muss ständig schauen, wo der Feind ist, vor allem wenn man über Plätze geht." Immer wieder werden auf offener Straße ausländische Studenten von Skinheads angepöbelt oder geschlagen. "Seit Monaten werden es mehr Studienfreunde, die wie aus heiterem Himmel beschimpft, bespuckt und attackiert wurden", berichten die beiden.

Auch Alfonso Troya hat sich nichts weiter gedacht, als er kürzlich auf dem Bahnhofsvorplatz von drei jungen Deutschen gefragt wurde, ob er Ausländer sei. Als der Wortführer ihm dann die rechte Hand hinstreckte, wollte der Spanier nicht unfreundlich sein und beugte sich dem Mann entgegen. Ein wuchtiger Schlag traf seine Nase, die sofort zu bluten begann. "Der Kahlrasierte hat noch gesagt," erinnert sich der 24jährige Troya, "Du bist niemand, um mich zu begrüßen".

Der Nachrichtentechniker aus Barcelona arbeitet im Institut für Halbleiterphysik ("IHP") in der Oderstadt. Mehrere der insgesamt 18 ausländischen IHP-Mitarbeiter sind aufgrund des gesellschaftlichen Klimas inzwischen nach Berlin gezogen und nehmen lieber die langen Fahrzeiten in Kauf, andere überlegen, dem Osten Deutschlands ganz den Rücken zu kehren. "Seit bekannt wurde, dass indische Computerspezialisten für Deutschland angeworben werden," berichtet IHP-Sprecherin Heidrun Förster, "haben sich die Übergriffe auf unsere Mitarbeiter gehäuft."Um die Hightech-Schmiede sind bereits knapp 1000 Arbeitsplätze entstanden.

Nach dem Zusammenbruch des früheren Halbleiterwerks mit seinen 8000 Mitarbeitern ist die Mikroelektronik gemeinsam mit der Europa-Universität Symbol des Aufschwungs und vieler Hoffnungen. 40 neue Firmen sind im Umfeld des IHP inzwischen gegründet worden, an jedem neuen Arbeitsplatz hängen zwei bis drei weitere Jobs von Zuliefer-Firmen. Die Arbeitslosigkeit ist auf für brandenburgische Verhältnisse niedrige 17 Prozent gesunken. "Wir verhandeln jede Woche mit potenziellen Investoren", erklärt das Investor Center Ostbrandenburg, "und der Ruf der Fremdenfeindlichkeit schadet uns dabei sehr".

In der vergangenen Woche sind in und um Frankfurt allein drei brutale Übergriffe bekannt geworden. Vier Mitarbeiter eines indischen Restaurants etwa wurden von rechtsradikalen Schlägern ohne jegliche Vorwarnung mit Baseballkeulen attackiert. Als die Inder flüchteten, hetzten die Angreifer ihren Dobermann hinterher. Und in einem Sommercamp bei Frankfurt wurden französische Urlauber Opfer des braunen Mobs. Kurz zuvor war Informatik-Professor Rolf Kraemer der Kragen geplatzt. "Ich habe mit einer solchen Atmosphäre in einem zivilisierten Land nicht gerechnet", wandte sich der IHP-Wissenschaftler, der aus Duisburg stammt, an das Stadtparlament. Alle ausländischen Mitarbeiter, die er angeworben habe, seien fremdenfeindlichen Attacken ausgesetzt gewesen.

Seine Rede blieb nicht ohne Wirkung. Denn inzwischen weiß auch der letzte Kommunalpolitiker, dass ohne Ausländer die zarte Pflanze des Hightech-Aufschwungs wohl rasch wieder eingeht. Vor allem die größeren Unternehmen, von der Deutschen Bank bis zur Städtischen Wohnungsbaugesellschaft, beginnen jetzt, sich gegen Fremdenfeindlichkeit zu engagieren. Erste Personalversammlungen haben stattgefunden, in denen die Mitarbeiter sensiblisiert werden sollen. "Das heißt", erläutert Uwe Hoppe, Chef des Business und Innovation Centers, "in Alltagssituationen Toleranz und Zivilcourage unter Beweis zu stellen". Konkret wurden etwa Fahrer der Frankfurter Busse und Bahnen angehalten, nach Anbruch der Dunkelheit Ausländer auch außerhalb der regulären Haltestellen aufzunehmen. In der Vergangenheit hatten sich mehrere Computerexperten darüber beklagt, dass sie auf der Flucht vor Rechtsradikalen vom Personal im Stich gelassen wurden.

Zudem gibt es die "Aktion Noteingang": Gelb-schwarze Aufkleber an Eingangstüren sollen Opfern von Gewalt Zuflucht signalisieren. Auch das Halbleiter-Institut ist in die Offensive gegangen. Ausländische und einheimische Mitarbeiter führen Schulklassen durch die Einrichtung und diskutieren mit ihnen, was laut Sprecherin Förster "hervorragend" angenommen wurde. Abbas Ourmazd, wissenschaftlich-technischer Geschäftsführer des Instituts, hat auch keine Sekunde mit seiner Unterschrift gezögert, als er von dem "Offenen Brief" hörte, den die Geschäftsführung des Forschungsverbunds Berlin initiierte. "Wir sehen mit großer Sorge", heißt es darin, "dass ausländische Wissenschaftler unsere Einladungen zu Gastaufenthalten in unseren Einrichtungen zunehmend mit Zögern oder Ablehnung beantworten - weil sie sich in unserem Land nicht sicher fühlen". Mehr als 70 deutsche Forschungseinrichtungen haben sich der Aktion bereits angeschlossen. Nach der ersten Veröffentlichung wurde der Berliner Verbund mit "ermutigenden Zuschriften" überschüttet, wie Geschäftsführer Falk Fabich berichtet. Doch es gab auch rechte Drohbriefe, die ihn jedoch darin bestätigt haben, nicht mehr länger durch Schweigen "ein klammheimliches Einverständnis mit dem gewalttätigen Nachwuchs" zu signalisieren.
 

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